A New Gaze 2017

Wunschbrunnen

Eva O’Leary, Strip Mall, 2015

Eva O’Leary, Strip Mall, 2015, Archival Pigment Print, 81.3 × 101.6 cm

 
Das Wasser strömt über die ockerfarbenen Steinstufen hinab, durch das erste und dann das zweite türkisfarbene Becken am unteren Bildrand bis zum Betrachter. Die Unschärfe, die durch die lange Belichtungszeit entsteht, erweckt den Eindruck eines fliessenden Baches, dessen Quelle nie versiegen wird. Lupenrein ist dieses Wasser, und auch an den Felsbrocken erkennt man keinerlei Spuren von Algen, Moos oder sonst etwas Lebendigem. Die Farben Türkis und Ocker leuchten wie von Sonnenlicht angestrahlt. Farben und Formen, die an Fotos von Wasserfällen in der Karibik erinnern. Doch zu perfekt, zu sauber ist hier alles, als dass es echt sein könnte. Der Betrachter bleibt unsicher. Vielleicht ein Resort mit Swimmingpool auf Fidschi? Das Gehege der Seelöwen im Zoo? Oder sind wir gar bei den Goldgräbern in Disneyland? Man kennt solche Landschaften – nur von wo?

Eva O’Leary lässt uns kurz eintauchen – in die Falle tappen. Ein Trugbild ist das und keine Natur. Eine Landschaft, die von Menschen für Menschen geschaffen wurde. Doch O’Leary lässt uns nicht gänzlich im Gewässer versinken, sondern hilft uns dabei, uns in der Realität wieder zurechtzufinden. Glas und Metall sind in den oberen beiden Bildecken sichtbar: Rolltreppen. Alles urban, alles künstlich also? Der Titel verrät es: Strip Mall. Wir befinden uns also in einem offenen amerikanischen Einkaufszentrum, das aus dem Boden gestampft wurde und bestimmt nur mit dem Auto zu erreichen ist. Dessen Zweck: Menschen ein vergnügliches Einkaufserlebnis zu verschaffen – bei maximalem Anreiz zum Konsum. Der plätschernde Wasserfall darin hat eine glasklare Aufgabe. Er ist es, der den Unterschied zwischen Einkaufsmeile und Erlebnis-Shopping ausmacht. Sein Auftrag: positive Gefühle auszulösen, die Ruhe der Natur zu vermitteln und die Träume des Besuchers an die Oberfläche zu locken. Kurz: zu verführen.

Eva O’Leary entwirft das Landschaftsbild einer neuen Zeit. Landschaften waren schon immer Imaginationsräume. Auch in Strip Mall wurde eine Landschaft geformt, um den Besucher in eine Welt zu (ent-)führen, die vorgibt, eine bessere zu sein. Eine, die wir auch von den Werbeplakaten an den Strassen her kennen. Kaufe, damit du Teil dieser besseren Welt werden kannst, heisst das Versprechen. Geld gegen Traum. Von den idealisierten und verzerrten Fotografien der Werbeplakate oder Ferienprospekte ist der Weg nicht mehr weit zur Landschaft aus Styropor und Chlorwasser oder zur "Natur" aus dem 3D-Drucker. Dass wir lieber etwas Moos auf den Steinen hätten, drohen wir zunehmend zu vergessen. Unsicherheit hinterlässt dies spätestens dann, wenn wir am Ferienort eintreffen und enttäuscht merken, dass auch im Paradies alles "bloss echt" ist.

O’Leary zeigt uns mit ihrem Bild nicht nur die Koexistenz dieser zwei Realitäten. Sie zeigt uns auch, dass diese neue Welt Teil unserer Realität geworden ist, dass das künstlich Erschaffene bereits zu unserer Lebenswelt dazugehört. Auf dem Stein unten links im Bild liegen Münzen. Ob man gerade am Trevi-Brunnen in Rom steht, der vor fast 300 Jahren aus Travertin und Marmor geschaffen wurde, oder am Chlorgewässer in der Strip Mall: Münzen werfen bringt Glück. Nur die Götter, welchen hier gedankt wird, sind andere geworden. Aber weniger mächtig als jene in Rom sind sie nicht. Im Gegenteil.

  

Zur Autorin

Luisa Baselgia betreut die Vontobel-Kunstsammlung als Projektmanager.

Sie hat Kunst- und Fotografiegeschichte an der Universität Zürich und Basel studiert und ist als Vermittlerin im Fotozentrum Winterthur tätig.

 

Foto: © Anne Morgenstern

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